Buchvorstellung

Auf den Schultern von Giganten: Die Pioniere der Radiologie im Fokus

Zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29. Januar 2025

Das Buch "Pioneers in Radiology Worldwide" beleuchtet die faszinierende Geschichte der Radio-logie von ihren Anfängen 1896 bis 1923. In unserem Interview gibt Mitautor Dr. Uwe Busch, Leiter des Lenneper Röntgen-Museums, Einblicke in die Entstehung, die außergewöhnlichen Persön-lichkeiten und die teils gefährlichen Experimente, die das Fundament für eines der innovativsten medizinischen Fachgebiete legten. Eine Hommage an alle, die der Radiologie den Weg bereitet haben – und eine Erinnerung daran, wie weit das Fach gekommen ist.

Herr Dr. Busch, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für diese Buchvorstellung nehmen. Würden Sie bitte zunächst auf das Buch und seine Entstehung eingehen?

Das Buch "Pioneers in Radiology Worldwide" wurde vom französischen Museum für Radiologie in Paris herausgegeben. Die Autorinnen und Autoren sind alle Mitglieder der International Society for the History of Radiology (ISHRAD), die wir 2011 beim European Congress of Radiology in Wien gegründet haben. Seitdem treffen wir uns jährlich zu historischen Symposien an verschiedenen Orten wie Remscheid, Paris oder London. Bei diesen Treffen sprechen wir über die Geschichte der Radiologie und der radiologischen Technik in den verschiedenen Ländern. Wie wir in der historischen Kommission der DRG sagen: “Wir stehen alle auf den Schultern von Giganten.”

Wie entstand die Idee zu diesem Buch?Bereits im Januar 1896, unternahm Otto Walkhoff (1860-1934) mit einer improvisierten Röntgeneinrichtung den Versuch, seine eigenen Zähne intraoral zu röntgen. Die notwendigen fotografischen Plättchen hatte er sich selber zugeschnitten. Die Expositionszeit betrug 25 Minuten. Nach dieser Pioniertat begann Walkhoff weiter an der Entwicklung der zahnmedizinischen Röntgendiagnostik zu arbeiten.Erste Intraorale Röntgenaufnahme Bereits im Januar 1896, unternahm Otto Walkhoff (1860-1934) mit einer improvisierten Röntgeneinrichtung den Versuch, seine eigenen Zähne intraoral zu röntgen. Die notwendigen fotografischen Plättchen hatte er sich selber zugeschnitten. Die Expositionszeit betrug 25 Minuten. Nach dieser Pioniertat begann Walkhoff weiter an der Entwicklung der zahnmedizinischen Röntgendiagnostik zu arbeiten.© Archiv Deutsches Röntgen Museum

Geschichte wird von Menschen geschrieben. Deshalb berichten und diskutieren wir bei unseren jährlichen ISHRAD Symposien oft über besondere Persönlichkeiten, die mit ihren klinischen Forschungen und wissenschaftlichen Arbeiten das Feld der Radiologie vorangebracht haben. Daraus entstand die Idee, ein Buch zu machen, das die Pioniere aus den verschiedenen Ländern vorstellt. Was als kleines Projekt begann, wurde zu einem umfangreichen Werk mit Autoren aus der ganzen Welt - aus Australien, Polen, Dänemark, Schweden, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und vielen anderen Ländern. Jeder hat in seinem Land nach Wegbereitern gesucht und deren Geschichten aus den nationalen Archiven zusammengetragen.

Welchen Zeitraum und wie viele Pioniere deckt das Buch ab?

Wir konzentrieren uns auf die Zeit von 1896 bis 1923, also die frühen Jahre der Radiologie, die noch zu Lebzeiten Röntgens aktiv tätig waren. Insgesamt werden 195 Röntgenpioniere aus 38 verschiedenen Ländern porträtiert. Das reicht von Europa über Nord- und Südamerika bis nach Asien und Australien. Radiologie ist schon ein fantastisches Feld, zumal es so ähnlich wie beim Big Bang ist: Wir starten mit einer Singularität, da an einem ganz genau bestimmten Zeitpunkt. Dieser war am 8. November 1895, als Röntgen seine bahnbrechende Entdeckung machte, und seitdem entwickelt sich das Fach wie die Expansion des Universums (um im Bild des Urknalls zu bleiben) kontinuierlich weiter. Es ist somit nicht nur eines der innovativsten Felder der Medizin überhaupt, sondern betrifft viele weitere Forschungsbereiche.

Wie arbeiteten die Radiologen in dieser Pionierzeit?

Das war eine völlig andere Welt. Die Mittel, die man damals hatte, waren eben relativ beschränkt. Digital war weit weg und ein einzelnes Röntgenbild zu erstellen, war ein aufwendiges Unterfangen. Die Aufnahmen mussten erst durch einen fotografischen Prozess entwickelt werden. Die Forschenden hängten die Bilder zu Hause über der Badewanne zum Trocknen auf und konnten sie erst am nächsten Tag auswerten. Oft war es ein Ein-Personen-Betrieb, in dem gleichermaßen radiologisch auch wie technisch gearbeitet und viel gebastelt wurde.

Die Radiologinnen und Radiologen (Röntgenärzte und Röntgenärztinnen) von damals wurden oft als eigenwillige Menschen wahrgenommen, die in abgelegenen Räumen mit elektrischen Geräten experimentierten. Aber sie mussten wahre Multitalente sein, in den Bereichen Technik, Maschinenbau, Tischlerei und Medizin z.B. Da es noch nicht viele spezialisierte Firmen gab, muss-ten sie ihre Geräte oft selbst entwickeln und bauen. Aus dieser Kreativität ist das Fach gewachsen.

Ernest Harnack (1868-1942) war der erste MTR (Radiographer) in Großbritannien. Kurz nach Röntgens Entdeckung der Röntgenstrahlen arbeitete er am Londoner Krankenhaus in Whitechapel. Für den Klinikbetrieb entwickelte er ein mobiles tragbares Röntgengerät. Wie zahlreiche seiner Kollegen in dieser Zeit entwickelte er schwere Strahlenschäden. Beide Hände mussten ihm amputiert werden.Röntgengerät im London Hospital ca. 1896 Ernest Harnack (1868-1942) war der erste MTR (Radiographer) in Großbritannien. Kurz nach Röntgens Entdeckung der Röntgenstrahlen arbeitete er am Londoner Krankenhaus in Whitechapel. Für den Klinikbetrieb entwickelte er ein mobiles tragbares Röntgengerät. Wie zahlreiche seiner Kollegen in dieser Zeit entwickelte er schwere Strahlenschäden. Beide Hände mussten ihm amputiert werden.© Sammlung Prof. Dr. Adrian Thomas, Bromley UKDas klingt nach einer gefährlichen Pionierarbeit. Gab es Opfer?

Natürlich, leider. Das Buch macht die Leidenswege der Pioniere erlebbar. Es gibt auch etliche, die dann nachher auch an Strahlenschädigung verstorben sind. Man muss sich die damalige Arbeit wie ein Frankenstein-Kabinett vorstellen - im Dunkeln knisterte die Hochspannung, Blitze flogen, und man musste aufpassen, dass die Röhren nicht zerbarsten. Strahlenschutz war damals noch ein Fremdwort. Die Pioniere experimentierten oft an sich selbst, wie zum Beispiel Paul Krause, der um 1910 als einer der ersten Bariumsulfat als nicht-giftiges Kontrastmittel einsetzte.

Können Sie weitere konkrete Beispiele für Pionierleistungen nennen?

Ein faszinierendes Beispiel ist österreichische Physiker Eduard Haschek, der 1896 in Wien die erste medizinisch indizierte Röntgenaufnahme aufnahm und am 17. Januar 1896 gemeinsam mit dem Anatomen Julius Tandler und dem Mediziner Otto Lindenthal die erste Angiografie durchführte. Er verwendete die sogenannte „Teichmannsche Lösung“, eine Mischung aus Kreide und Zinnober. Allerdings konnte er das nur an einer amputierten Hand durchführen, weil das Mittel hochgiftig war. Aber die grundlegende Idee der Kontrastmitteluntersuchung war geboren. Von da an war es ein langer Weg bis zur Entwicklung moderner Kontrastmitteln, wie wir sie heute verwenden.

Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung der Mammografie. Die ersten Mammografien wurden in Deutschland von dem Berliner Chirurgen Albert Solomon 1913 von ca. 3.000 Operationspräparaten nach erfolgter Mastektomie angefertigt. Die besondere Herausforderung bestand darin, Weichgewebe auf dem fotografischen Material kontrastreich abzubilden. Erst mit der Entwicklung spezieller Molybdänanoden in den 1960er Jahren wurde die Mammografie wirklich praktikabel.

Würden Sie bitte auch über das Bildmaterial im Buch sprechen?

Zu jeder Biografie haben wir versucht, ein Porträtfoto zu finden und auch Bilder der Pionierarbeit zu dokumentieren. Besonders beeindruckend sind z.B. Archivbilder aus dem Pariser Radiologie-museum von Marie Curie, die im Ersten Weltkrieg mit den „Petit Curies“, mobilen Röntgengeräten, an die Front fuhr, um Mediziner in die Röntgentechnik einzuweisen. Wir dokumentieren auch frühe medizintechnische Geräte, wie beispielsweise Apparate zur Herzuntersuchung. Damals war es eine große Herausforderung, bewegte Organe wie das Herz abzubilden - die Belichtungszeiten waren lang und Bewegungsartefakte ein großes Problem. Man behalf sich mit der sogenannten Orthodiagrafie, bei der man unter Durchleuchtung die Herzkonturen abzeichnete.

Was war das Besondere an dieser internationalen Zusammenarbeit für das Buch?

Die Zusammenarbeit war einzigartig. Wir hatten digitale Redaktionskonferenzen mit Autorinnen und Autoren aus aller Welt, was wegen der Zeitverschiebung manchmal eine Herausforderung war - versuchen Sie mal, Argentinier und Australier gleichzeitig an einen virtuellen Tisch zu bekommen! Aber es hat allen viel Spaß gemacht. Jeder Kollege, jede Kollegin war stolz darauf, seine nationalen Pioniere vorzustellen, und es gab spannende Diskussionen darüber, welche Persönlichkeiten aufgenommen werden sollten.

Besonders interessant war es zu sehen, wie sich aus den einzelnen nationalen biografischen Skizzen das globale Gesamtbild der Entwicklung Radiologie aufgezeigt hat. Von Deutschland, wo Röntgen seine Entdeckung machte, breitete sie sich im Kontext der damaligen wissenschaftlichen Verflechtungen aber auch aufgrund des Kolonialismus schnell in alle Welt aus. In manchen Regionen, wie etwa in Afrika, spielten auch Missionare ebenso eine wichtige Rolle bei der Einführung der Röntgentechnik.

Georges Chicotot war ein Maler, Arzt und Radiologe. Nach seinem Studium der Malerei widmete er sich der Medizin. 1907 wurde Assistent an der Abteilung für Strahlentherapie am Broca Hospital in Paris. Berühmt wurde er durch das Gemälde einer Strahlentherapie der Mammae, dass er 1907 malte. Auf diesem Bild sieht man ihn bei der Regenerierung einer Ionen-RöntgenröhreSelbstporträt des französischen George Chicotot (1868-1937) Georges Chicotot war ein Maler, Arzt und Radiologe. Nach seinem Studium der Malerei widmete er sich der Medizin. 1907 wurde Assistent an der Abteilung für Strahlentherapie am Broca Hospital in Paris. Berühmt wurde er durch das Gemälde einer Strahlentherapie der Mammae, dass er 1907 malte. Auf diesem Bild sieht man ihn bei der Regenerierung einer Ionen-Röntgenröhre© Archiv Musée de Radiologie, Paris, FRAn wen richtet sich das Buch?

Das Buch richtet sich nicht nur an Radiologinnen und Radiologen, sondern an alle, die sich ebenso für die Geschichte der Medizin, Medizintechnik und Medizinphysik interessieren. Es ist kein klassisches Lehrbuch, sondern erzählt anhand von Biografien besonderer Persönlichkeiten und deren Schicksal, wie sich die globale Radiologie in den letzten 130 Jahren entwickelt hat. Zugleich ist das Buch ein Nachschlagewerk für die internationale medizinhistorische Biographieforschung. Wir haben uns deshalb bewusst für Englisch als Sprache entschieden.

In der heutigen schnelllebigen Zeit, in der täglich tausende von digitalen Bildern in Krankenhäusern erstellt werden, wollen wir einen Moment des Innehaltens und der Rückbesinnung schaffen. Die Radiologie entwickelt sich ständig weiter - nach jeder vermeintlich ultimativen Innovation wie dem CT in den 1970ern kommt etwas Neues wie aktuell das Single Photon Accounting. Das macht unser Fach so spannend, und umso wichtiger ist es, die Wurzeln nicht zu vergessen.

Lieber Herr Dr. Busch, haben Sie dank für das Gespräch.

Das Buch kann hier oder hier erworben werden.